US-Konservativer Bolton mahnt «Iran könnte innert 72 Stunden eine nukleare Bedrohung sein»

Philipp Dahm

19.4.2024

John Bolton warnt in einem neuen Interview vor der Achse Moskau-Peking und ihren Sympathisanten wie dem Iran.
John Bolton warnt in einem neuen Interview vor der Achse Moskau-Peking und ihren Sympathisanten wie dem Iran.
Archivbild: KEYSTONE

Während Donald Trump die amerikanische Rechte fest im Griff hat, gilt sein früherer Sicherheitsberater John Bolton heute als sein Gegner. Der 75-Jährige hat nun mit «Times Radio» über internationale Politik geredet.

Philipp Dahm

19.4.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Donald Trumps früherer Sicherheitsberater John Bolton spricht als exponierter Konservativer über internationale Politik.
  • «Das grössere Risiko ist, nicht zu antworten»: Beim Konflikt zwischen Israel und dem Iran rät Bolton Jerusalem zu einem offensiven Handeln, um Teheran abzuschrecken.
  • Laut Bolton hätten bei Irans Angriff auf Israel die Hälfte der ballistischen Raketen versagt. Darum glaubt er nicht, dass die Mullahs keinen Schaden anrichten wollten.
  • Der Krieg in der Ukraine sei festgefahren, weil der Westen keine kohärente und strategische Unterstützung leiste. 
  • Bolton denkt, der Kongress werde am 20. April neue Ukraine-Hilfen beschliessen. Wie einige Abgeordnete versuchten, das zu verhindern, sei «eine Schande».
  • Der Iran könnte in kürzester Zeit eine Nuklearmacht werden, wenn er sich in Nordkorea entsprechende Sprengköpfe kaufen würde.

John Bolton ist eine schillernde Figur der amerikanischen Konservativen. Seine Karriere begann der Jurist als Staatsanwalt im Justizministerium unter dem republikanischen Präsidenten Ronald Reagan, der ihn prägte. Nach Stationen im Aussenministerium wird er unter George W. Bush US-Botschafter bei den UN. Der Neukonservative gilt als Falke innerhalb seiner Partei.

Von 2018 bis 2019 ist Bolton Donald Trumps nationaler Sicherheitsberater, doch die beiden überwerfen sich: So rückt Donald Trump von seinem Vorhaben ab, einen Regimewechsel im Iran zu erzwingen und geht auf Kuschelkurs mit Nordkorea. 2020 bringt Bolton das Enthüllungsbuch «The Room Where It Happened» über seine Erlebnisse im Weissen Haus heraus.

John Bolton (links) am 12. Juli 2018 mit seinem damaligen Boss Donald Trump in Brüssel.
John Bolton (links) am 12. Juli 2018 mit seinem damaligen Boss Donald Trump in Brüssel.
Bild: KEYSTONE

Nun hat der 75-Jährige «Times Radio» ein Interview gegeben, in dem er sich zu diversen Themen der internationalen Politik geäussert hat: den Konflikt zwischen Israel und dem Iran, Teherans Atomwaffen-Programm und die US-Unterstützung der Ukraine.

Bolton zum Konflikt zwischen Israel und dem Iran

Den iranischen Angriff auf Israel am 13. April wertet Bolton als «klassische Kriegshandlung». Es habe sich um eine direkte Attacke gehandelt – im Gegensatz zu den Stellvertreterkriegen, die Hamas, Hisbollah, die Huthis und schiitische Milizen im Irak und in Syrien mit Jerusalem führen würden.

«Fundamental falsch» findet Bolton, dass US-Präsident Joe Biden Benjamin Netanjahu gesagt habe, Israel soll sich mit dem Sieg begnügen, den Angriff abgefangen zu haben. «Es ist kein Sieg, nur weil man am Leben geblieben ist.» Dass Teheran die Attacke angeordnet habe, sei ein «Scheitern der Abschreckung» Israels, das deshalb nun umso entschiedener antworten müsse.

Teherans Ansage, man werde noch härter zuschlagen, falls Israel Vergeltung übe, hätten sich die Mullahs in Nordkorea abgeschaut, meint Bolton. Kim Jong-un «kündigt routinemässig an, er werde ein Meer des Feuers über der koreanischen Halbinsel entfachen, wenn ihn jemand schief anguckt. Das ist die Sprache eines Regimes, das nur Gewalt respektiert».

Eine kraftvolle israelische Vergeltung berge natürlich Risiken. «Aber das grössere Risiko ist, nicht zu antworten.» Zudem wollten die Mullahs die Atomwaffe bauen, verteidigt Bolton seinen offensiven Kurs.

Bolton über Irans Absichten

Die Mullahs haben «Marschflugkörper, ballistische Raketen und Drohnen» eingesetzt, um zu zeigen, was sie draufhaben, so Bolton. «Ich glaube, diese Übung war kein Kabuk», sagt er mit Blick auf das japanische Theater, das sich durch Glamour und Pomp auszeichnet. «Ich denke, sie haben erwartet, signifikante Schäden zu verursachen».

Der damalige US-Sicherheitsberater John Bolton (links) mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu (mit dem Fingerzeig) im Juni 2019 in Jericho.
Der damalige US-Sicherheitsberater John Bolton (links) mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu (mit dem Fingerzeig) im Juni 2019 in Jericho.
Bild: KEYSTONE

Mit Verweis auf US-Medienberichte erklärt Bolton, dass von den 320 auf Israel abgefeuerten Flugkörpern 120 ballistische Raketen waren. Und: «Die Hälfte [davon] ist auf der Startrampe hochgegangen oder abgestürzt. Wenn das stimmt, sagt uns die Fehlerquote einiges über ihre Fähigkeiten.»

Wäre es nur darum gegangen, das Gesicht zu wahren, hätte Teheran nicht etwas versucht, was das Regime so blamiert, argumentiert der Amerikaner. «Es demonstriert die Ernsthaftigkeit der iranischen Absichten und die Schwäche ihres Arsenals ballistischer Raketen.» 

Bolton über die US-Unterstützung der Ukraine

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat beklagt, dass sein Land nicht so viel Schützenhilfe wie Israel erhalte, wenn Drohnen iranischer Bauart angreifen. Zurecht? «Selenskyj hat recht», betont Bolton, «und die Erklärungen, warum er diese Unterstützung nicht bekommen hat, sind ziemlich armselig.»

John Bolton trifft im August 2019 in Kiew Wolodymyr Selenskyj.
John Bolton trifft im August 2019 in Kiew Wolodymyr Selenskyj.
Bild: Keystone

Der Westen helfe nicht umfangreich genug und nicht strategisch: Zwei Jahre nach Kriegsbeginn habe Kiew immer noch keine Flugzeuge vom Westen erhalten. «Worauf schiessen die Russen? Auf zivile Kraftwerke, um der ukrainischen Wirtschaft und der Bevölkerung zu schaden.»

Über ein anderes Waffensystem habe der Westen «quälend langsam» debattiert, um diese dann scheibchenweise zu liefern, so Bolton. «Im Moment ist der Krieg festgefahren», räumt der Sicherheitsexperte ein, doch Schuld daran sei die fehlende strategische Hilfe des Westens.

Bolton über die Ukraine-Abstimmung im US-Kongress

Am 20. April wird im Kongress nun doch über Ukraine-Hilfen abgestimmt: Woher kommt der Sinneswandel des Sprechers des Repräsentantenhauses? «Mike Johnson ist mit seiner Aufgabe gewachsen», versucht sich Bolton in einer Erklärung. «Ich denke, er hat seine Stimme gefunden.»

Gleichzeitig sei sein eigener Job in Gefahr, führt der Mann aus Maryland aus. «Gegner der Ukraine-Hilfe, von denen viele russische Propaganda nachplappern, haben gedroht, ihn vom Sprecher-Job zu verdrängen. Es gibt nur eine sehr schmale republikanische Mehrheit.»

Bolton glaubt, dass die Ukraine-Hilfe durchgewunken wird, falls es am Samstag zu einer offenen Abstimmung kommt. Johnson könnte ebenfalls zu Wahl stehen. «Wir sollten die Ukrainer unterstützen. Ich hoffe, das Hilfspaket kommt durch, und der Sprecher bleibt im Amt.»

Bolton wird deutlich: «Er beweist echten Mut gegen eine Gruppe von Leuten, die bestenfalls schlecht informiert sind und im schlimmsten Fall auf russische Propaganda hereinfallen. Es ist eine echte Schande.»

Haben Putins Atomdrohungen den Iran beeinflusst?

«Der Iran könnte innert 72 Stunden eine nukleare Bedrohung sein, wenn er der nordkoreanischen Zentralbank in Pjöngjang einen adäquaten Betrag schickt und ein paar Sprengköpfe in Transportflugzeuge geladen werden, die über China fliegen und dem Iran geliefert würden», sagt Bolton.

Und weiter: «Wir sehen uns einer neuen Achse gegenüber, die sich gerade formiert. Die Achse Peking–Moskau ist real. Sie hat ihre Ableger wie Nordkorea, der Iran, Syrien, Belarus, Kuba, Venezuela und Nicaragua. Sie sind alle auf derselben Seite.»

Iranische Drohnen würden von Russland in diesem Moment gegen die Ukraine eingesetzt, fährt Bolton fort: «Die Schwäche und die Ineffektivität, die der Westen in der Ukraine an den Tag legt, ist in Moskau sehr sichtbar, ist in Peking sehr sichtbar und allen Hauptstädten, [von Staaten] die wir fürchten.»

Der Westen müsse sich deshalb nun zusammenreissen und handeln – oder hinnehmen, dass sich anderswo ein Krieg wie in der Ukraine oder Nahost wiederhole. Insbesondere Asien sei gefährdet, glaubt Bolton.